Ohne Titel
Gericke, Alice
Alice Gericke zeichnet großformatige Liniengewebe mit endlos vielen ineinandergreifenden Beziehungsgeflechten. Ihre Jahresgabe ist eine Landschaft aus Scherenschnitt, in der sie sich mit den Bestandteilen einer Zeichnung auseinandersetzt, sie seziert, Abstand nimmt und neu montiert. Dafür hat sie zunächst ein Blatt Papier zerknüllt und mit irreversiblen Spuren versehen. Dieser dynamische Moment des Knüllens, der für viele Papierblätter ihr Ende bedeutet, ist bei Gericke ein Ausgangspunkt: Sie öffnete das kaum mehr eindimensionale Blatt und ging dem Endgültigen gegen den Strich. Anschließend übersetzte sie die Papierbruchlinien des einen zeichnerisch auf ein anderes Blatt, um sie schließlich mit Scherenschnitten in unterschiedlichen Bezugssystemen – teils auf – teils um die Linie herum – in ihrer Struktur freizulegen. Negativ und Positivverhältnisse wechseln sich ab in dieser minimalen Darstellung. Mitunter bewegt sich das Gewebe am Rande des Möglichen, an anderer Stelle wirkt es sehr beständig. Gegensätzlich zu dieser Studie der Linie im feinen Scherenschnitt ist die Durchsicht auf das unruhige Grafitpulver, welches Gericke als Abfallprodukt vorhergegangener Zeichenprozesse aufgefangen hatte. Auf der Fläche ausgebreitet lassen dessen Späne die Linienlandschaft umso mehr zu einer Topografie werden.
Alice Gericke (*1991) studierte Freie Kunst an der Hochschule für Künste in Bremen und war anschließend Meisterschülerin (bis 2022) bei Katrin von Maltzahn. Einzel- und Gruppenausstellungen in der Galerie für Gegenwartskunst, Bremen (2020, 2022), Weserburg Museum für moderne Kunst, Bremen (2021), PEAC – Museum, Freiburg im Breisgau (2019), Galerie tête, Berlin, OQBO (Raum für Wort, Bild und Ton), Berlin (2018).